Eine schöne Begegnung war das vor ein paar Wochen. Mir auf dem Bürgersteig entgegen, kommt eine junge Frau. An der Hand ihre kleine Tochter. Vor ein paar Jahren habe ich dieses Kind getauft. Ein tolles Fest. Und auch heute sind beide ganz festlich gekleidet. Das Kind hat ein Hütchen auf und einen leichten Mantel an. In den Händen hält es einen Blumenstrauß. Sommerblumen. Ganz fest hält sie die Blumen.
Fast feierlich. Nach einem kurzen Smalltalk mit der Mama frage ich die Kleine: „Wer bekommt denn Deine schönen Blumen?“ Sie sagt: „Meine Uroma“. Und ich frage natürlich: „Hat Deine Uroma Geburtstag?“ „Nein“, sagt das Mädchen ganz ernst, „sie ist auf dem Friedhof. Aber ich habe sie lieb.“ Ich schaue sie an, vermutlich erstaunt, gerührt. Das Kind hält die Blumen immer weiter feierlich und kerzengerade. Sie weiß, was sie tut. Die Uroma soll frische Blumen bekommen, als ginge man in ihr Wohnzimmer. Die Uroma soll weiter dazugehören, weil sie doch geliebt wird. Liebe ist stark wie der Tod. Schon bei dem kleinen Mädchen.
Kinder wollen nicht, dass liebe Menschen weggehen; einfach weggehen und nicht wiederkommen. Da helfen Blumen auf dem Grab. Und dass man da weitersprechen kann, mit denen, die einem so sehr fehlen.
Viele von uns tun genau das, wenn sie in diesen Tagen rund um Allerheiligen und Allerseelen die Gräber ihrer Lieben besuchen. Wir jäten und harken, wir zünden Kerzen an, legen Gestecke nieder und pflanzen noch einmal Blumen. Keine bunten Sommerblumen mehr, sondern meist die so genannten „Immergrünen“ – Pflanzen, die im Kampf mit dem Novemberwetter nicht sofort einknicken – auch nicht an diesem Ort des Todes. Für mich ist das mehr als eine „Bemäntelung“ des Todes, mehr als bloße Dekoration und ein Zeichen der Wertschätzung. Kerzen, Blumen und Immergrün sind Zeichen des Lebenswunsches, ja des Lebensglaubens! Der Tod ist ein Ende, ja. Aber er ist nicht das Ende. Denn da grünt und blüht und fruchtet ein Leben „andernorts“, auch wenn das für uns noch nicht fassbar ist.
Und warum tun wir das an Allerheiligen? Weil dieses Fest die „kleine Schwester“ des großen Osterfestes ist. Wir sind Mängelwesen, „Staub, der atmet“ (vgl. Gen 2,7). Wir brauchen Tage, an denen wir die Hoffnung wagen, dass es hinter dem Horizont dieser Welt weitergeht.
An den Grenzen unserer Möglichkeiten strecken wir uns aus nach Gott und seiner ansteckenden Lebenskraft. Weil wir ahnen: niemand kann sich selbst retten. Ich brauche starke Arme, die mich packen und emporziehen, die dir und mir eine Himmelfahrt bereiten. Ich brauche eine Hand, die mich hält, selbst dann, wenn ich endgültig den Halt verliere. Wir wollen es an den Heiligen sehen, dass wir erwartet werden. Und mit uns alle, die wir lieben.
Wieder denke ich an das Kind, das Blumen an das Grab seiner Uroma brachte. Mit der Zeit wird der Schmerz anders. Sie wird sich immer ein bisschen mehr von der Uroma lösen. Aber nicht von der Liebe. Die bleibt lebendig. Immergrün. Bis Gott uns einander wieder gibt und uns neues Leben einhaucht. Bis dahin mögen die Blumen und Gestecke auf den Gräbern uns leise und stetig erinnern, dass selbst gegen den Tod ein „Kraut“ gewachsen ist: die Liebe Gottes des Vaters. Und nichts kann uns von ihr trennen. „Denn stark wie der Tod ist die Liebe.“ (Hohelied 8,6)
Raphael Häckler, Pfarrer